Es ist der 18. November 1949. Der Zweite Weltkrieg ist erst vier Jahre vorbei und seine Folgen sind noch immer spürbar. Die Bundesrepublik ist erst wenige Monate alt, gerade hat der frisch gewählte Bundestag Bonn zur ständigen Hauptstadt gekürt und nicht Frankfurt am Main. Die kürzliche Gründung der DDR ist genauso Gesprächsstoff wie das Ende der Berlin-Blockade vor einigen Wochen. Doch an diesem Freitagabend ist die große Weltgeschichte an einem Tisch im Essener Hof – der heutigen Stadtschänke – in Oerlinghausen allenfalls Nebensache.
Dort sitzen Richard Sprenger, Wilhelm Plaßmann, Carl Plaßmeyer, Gustav Hufendiek, Adolf Haase, Wilhelm Kleineweke, Wilhelm Ritzenhoff und Gustav Westerheide zusammen, um einen gemeinsamen Plan in die Wirklichkeit umzusetzen: die Wiedergründung der Oerlinghauser Schützengesellschaft. Carl Plaßmeyer ist an dem Abend bereits seit mehr als zehn Jahren König der Oerlinghauser Schützengesellschaft. Wochen vor dem deutschen Überfall auf Polen im Jahre 1939, was letztendlich den Zweiten Weltkrieg auslöste, war in der Bergstadt das letzte Mal Schützenfest gefeiert worden. Daran war natürlich in den Kriegs- und Nachkriegsjahren überhaupt nicht zu denken. Diese Jahre „zählen zu den dunkelsten Kapiteln der Schützengeschichte. Führten sie doch infolge der Kriegs- und Nachkriegsereignisse zur totalen Plünderung des Vermögens der Schützengesellschaft, ja sogar zur Zwangsauflösung“, heißt es in der Chronik „400 Jahre jung geblieben“ der Oerlinghauser Schützengesellschaft aus dem Jahre 1990. In der 25 Jahre zuvor verfassten Chronik wird von der „Beschlagnahme des Schützenplatzes“ und der „Verschleuderung des Vermögens durch ungetreue Pächter“ gesprochen, ohne näher ins Detail zu gehen.
Doch nun, am 18. November 1949, sind acht Bergstädter im Essener Hof fest entschlossen, die Oerlinghauser Schützengesellschaft wiederzubeleben. „Um den vielfachen aus Kreisen der Bürgerschaft erklärten Wünschen zur Pflege alten Brauchtums und der Geselligkeit zu entsprechen“, schreibt Protokollführer Wilhelm Plaßmann an diesem Abend nieder. Doch einen Verein so kurz nach dem Krieg zu gründen, ist alles andere als einfach. Schließlich sind sie bei den Siegermächten zunächst als Sinnbild eines deutschen Militarismus verschrien und daher landauf landab verboten. Diese Sichtweise ändert sich aber nach und nach. Am 18. November 1949 ist dies aber noch nicht soweit, weshalb die Achterrunde im Essener Hof einen Lemgoer Rechtsanwalt damit beauftragt, die erforderliche Genehmigung zur Vereinsgründung bei der Britischen Militärregierung einzuholen. Die lehnt das zunächst allerdings ab. Doch im Laufe des Jahres 1950 stellt die Militärregierung schließlich klar, dass „Schützenvereine, die lediglich Träger heimatliche Kultur und Volkssitte sind“, nicht unter das Vereinsverbot fallen. Es ist ein voller Erfolg für die acht Schützen, die sich vor 70 Jahren im Essener Hof getroffen haben.
Dort findet am 25. Juni 1950 die erste Generalversammlung nach dem Krieg statt, auf der spontan 80 Anwesende in die Schützengesellschaft eintreten. Zwei Tage später erfolgt der Eintrag ins Vereinsregister – eine Voraussetzung, um das beschlagnahmte Vereinsvermögen wiederzubekommen. Bis zum ersten Schützenfest dauert es aber noch bis 1951. Denn zunächst muss der völlig verwahrloste Schützenplatz auf Vordermann gebracht werden. Am Sonntag und Montag, 1. und 2. Juli 1951, ist es schließlich soweit: Oerlinghausen feiert wieder ein Schützenfest. Die Schützengesellschaft ist inzwischen schon auf 310 Mitglieder angewachsen, nach zwölf Jahren im Amt geben Carl Plaßmeyer und Helene Gräber die Königswürde ab. Ihre Nachfolger werden Wolfgang Zorn und Elisabeth Niestrath. Seither wird das Oerlinghauser Schützenfest ununterbrochen rund um den ersten Sonntag im Juli gefeiert. Der Verein zählt inzwischen rund 1100 Mitglieder. Eine Entwicklung, die es ohne den Einsatz, das Engagement und die Beharrlichkeit der acht Oerlinghauser nicht gegeben hätte, die sich vor 70 Jahren im Essener Hof getroffen haben.